Idee und Konzept

von Prof. Dr. Sabine Hornberg und PD Dr. habil. Thomas Geier

Mit der vor knapp 20 Jahren gestellten selbstkritischen Diagnose eines „methodologischen Nationalismus“ (Wimmer/Glick Schiller 2002) wurde in den Sozialwissenschaften problematisiert, „dass der empirische Zugriff auf die soziale Wirklichkeit entlang nationalstaatlicher Grenzen und nationalstaatlich orientierten Problemdefinitionen und Kategorienschemata“ (Köngeter 2009: 343) erfolge. Begriffe wie Gesellschaft oder Kultur wurden „als abgegrenzte, unabhängige und relativ homogene Einheiten“ betrachtet, „die sich durch nationale Grenzen, Institutionen und Gesetze konstituierten“ (Beck/Grande 2010: 189). Seitdem sind verschiedene sozial-, politik- und kulturwissenschaftliche Ansätze in Theorie und Empirie entstanden, die durch ihre Prämissen und Gegenstandskonstitution den Nationalstaat weder als Analyseeinheit unhinterfragt naturalisieren noch seine territorialen Grenzziehungsprozesse hypostasieren oder die Bedeutung des Nationalstaats als Konstruktionsprinzip des Sozialen vor diesem Hintergrund außer Acht lassen. 

Mit international vergleichenden und postkolonialen Perspektiven werden auch in der Erziehungswissenschaft und Schulforschung disziplinäre Richtungen eingeschlagen, die sich epistemisch und gegenstandstheoretisch jenseits eines „methodologischen Nationalismus“ (a.a.O.) verorten lassen und ein nationales framing ihrer Frage- und Problemstellungen erweitert, überwunden oder dekonstruiert haben (vgl. Geier 2018). Dies geschieht im Kontext von Globalisierungsdiskursen, in jüngerer Zeit aber auch mit Rekurs auf Erscheinungsformen der Transnationalisierung, von transnationalen oder transstaatlichen Räumen (vgl. Hornberg 2014). Die Vorträge der geplanten Ringvorlesung gehen auf aktuelle Themen und Diskussionen aus diesen Richtungen ein und lassen sich so zueinander in Beziehung setzen. 

Mit der Ringvorlesung wird überdies an die Beobachtung angeschlossen, dass obgleich zahlreiche postkoloniale Perspektiven und Begrifflichkeiten (Othering, Hybridität, Kreolisierung, epistemische Gewalt, Subalternität etc.) in den etwa mit Migration befassten Spezialdisziplinen der Erziehungswissenschaft ihre Verbreitung gefunden haben und Prozesse der Deregulierung, Privatisierung und Transnationalisierung von Bildung, Erziehung und Schule in der international vergleichenden Erziehungswissenschaft breit diskutiert werden, eine Rezeption dieser Diskurse im Sinne einer Allgemeinen Erziehungswissenschaft und Schulforschung bislang jedoch in der Theoretisierung ihrer Gegenstände und Methodisierung empirischer Forschungsanlagen nur zögerlich aufscheint. In den Vorträgen der Ringvorlesung gilt es folglich, sich mit der Frage danach auseinanderzusetzen, welche Konturen das eigene theoretische und empirische Forschen bezüglich einer kritischen Infragestellung des methodologischen Nationalismus auf der einen Seite gewinnen kann und welches Potenzial auf der anderen daraus entsteht, Forschung(en) jenseits des methodologischen Nationalismus zu verorten. 

Quellen 

Beck, U. & E. Grande (2004): Das kosmopolitische Europa. Gesellschaft und Politik in der Zweiten Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Hornberg, S. (2014): Transnational educational spaces. Border-transcending dimensions in education. In L. Vega (Hg.), Empires, post-coloniality and interculturality. New challenges for comparative education. Rotterdam: Sense Publishers, S. 171–180.

Geier, T. (2018): Grenze als soziales Verhältnis: Unterscheidungswissen und Unterscheidungspraktiken in pädagogischen Kontexten der Migrationsgesellschaft. Halle: unveröffentlichte Habilitationsschrift. 

Glick Schiller, N. & Wimmer, A. (2002): Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Science. In: Global Networks. 2, Nr. 4,  S. 301-34 (online).

Köngeter, S. (2009): Der methodologische Nationalismus in der Sozialen Arbeit in Deutschland. Zeitschrift für Sozialpädagogik, H. 4, S. 340-358